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27.04.2017 - Fachartikel - Software

Digitale Arbeitswelt: Projekte untergraben die Hierarchie

Zusammenarbeit ist ein Kennzeichen der neuen digitalen Welt – zwischen den Unternehmen und innerhalb der Unternehmen. Das verändert auch die Unternehmensstruktur.

Firmenlogo (2017-04-04)
(Initiative Mittelstand)

Nähert man sich derzeit dem Thema 4.0, so ist man versucht, einen alten Spruch von Karl Valentin zu bemühen: Es ist zwar schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Doch je höher der Berg von Magazinen, Beilagen, Sonderheften und Webseiten, desto größer auch die Verwirrung. Was einmal hoffnungsfroh als Industrie 4.0 und Internet der Dinge begann, hat inzwischen eine ganze Reihe von Konfliktlinien bekommen. Nicht wenige Fachleute vertreten die Ansicht, es gehe in der Tat um die Optimierung der Fertigung, und Deutschland sei mit seinem starken industriellen Kern gut aufgestellt.

Das greift viel zu kurz, rufen andere, ähnlich ernst zu nehmende Experten. Die disruptiven Geschäftsmodelle der Plattform-Ökonomie könnten zu einem bösen Erwachen führen. Quer über diese Kontroverse legt sich eine Debatte der Arbeitswissenschaftler, ob wir neuen Arbeitslosenheeren entgegensehen oder, im Gegenteil, die Digitalisierung sogar mehr Beschäftigung schafft, als sie wegrationalisiert. Und alles durchzieht die Frage, ob das Verhältnis Mensch/Maschine sich gerade dramatisch wandelt – zum Nachteil der Menschen. Während Philosophen wie der Mainzer Thomas Metzinger über die „evangelikalen Informatiker im Silicon Valley“ witzeln oder wie der Bonner Markus Gabriel kategorisch erklären: „Maschinen können nicht denken“, veröffentlichen jene, die es eigentlich wissen müssen, ein digitales Manifest. Darin äußern keine Geringeren als Stephen Hawking, Bill Gates oder Elon Musk ihre großen Sorgen, und Constanze Kurz und Frank Rieger vom Chaos Computer Club erklären gar kurz und bündig: „Wir schaffen uns alle ab.“

Wie es scheint, herrscht Klärungsbedarf. Wenn sich an dieser Stelle das Projektmanagement zu Wort meldet, so hat das einen einfachen Grund: Es ist einer der Täter. Denn alles begann einmal, immerhin so viel ist sicher, mit Software. Und Software wird seit jeher in Projektform entwickelt. Wenn deshalb, wie es die Studie „Makroökonomische Vermessung der Projekttätigkeit in Deutschland“ 2015 zutage gefördert hat, in Deutschland schon knapp 35 Prozent der gesamten Wertschöpfung in Projektform erbracht werden, so spiegelt dies auch den stetig steigenden Anteil der Informationstechnik im weitesten Sinne an unserem Bruttosozialprodukt. Und Projektarbeit ist menschenzentriert. Das könnte sich noch als wichtig erweisen.

Wer gibt künftig den Ton an?

Klären wir also, was derzeit geklärt werden kann: Es geht tatsächlich um mehr als die Fortsetzung der Industrieautomation. Dass alles mit allem vernetzt wird und jedes Werkstück eine Adresse in der Cloud haben kann, ist weitgehend gelernt. Fast möchte man sagen: An jeder Straßenecke steht eine Smart Factory. Aber wenn man sie besichtigt, drängt sich die immer gleiche Frage auf: Wo bleibt der Mensch? Denn diese Fabriken, in denen alle Maschinen, Halbzeuge und Produkte miteinander kommunizieren, sind fast menschenleer. Gleichwohl gewinnt, wie es aussieht, in der Forschergemeinde gerade die Ansicht die Oberhand, dass auch die vierte industrielle Revolution, wie noch jede vor ihr, mehr Arbeit schaffe, als sie vernichte. Nur was für eine Arbeit? Wo wird sie geschaffen und von wem? Wie wird sie aussehen?

Wer gibt künftig in der Fabrik den Ton an? Die Roboter oder die wenigen verbliebenen Arbeiter? Und kann es sein, dass wir bald alle zu Anhängseln der Algorithmen werden? Wir wissen es nicht, genauso wenig, wie wir schon alle anderen genannten Kontroversen entscheiden können. Auch deshalb nicht, weil wir selbst auf ihren Ausgang einen großen Einfluss haben. Noch. Wir müssen nur erkennen: Es geht längst nicht mehr nur um ein Thema der Wirtschaft, sondern um eine gewaltige soziale Veränderung. Sie betrifft zum Beispiel die künftige Organisation der Bildung. Werden unsere Bildungseinrichtungen in zehn Jahren alle so aussehen wie die Steve-Jobs-Schulen in den Niederlanden, wo sich schon Erstklässler ihren täglichen Lehrplan selbst zusammenstellen – natürlich am Tablet? Werden wir überhaupt noch Präsenzuniversitäten brauchen?

Der Reformbedarf betrifft auch unser Sozialsystem. Muss es über kurz oder lang eine Sozialisierung der Automatisierungsdividende geben, wie es Frank Rieger glaubt, mit einer Kombination von Maschinensteuer und Grundeinkommen? Und, ja, er betrifft die ganze Wirtschaft. Nicht nur den Maschinenbau, nicht nur industrielle Fertiger, sondern alle Unternehmen. Denn mit der Wertschöpfung ändert sich die Organisation.

Projekte sind teamorientiert

Vor uns liegt die Umgestaltung der Arbeit als ein neuartiges sozio-technisches System, und unser Anspruch muss sein, dies menschengerecht zu tun, durch individuelle adaptive Systeme, die Lernen fördern und geistige Unterforderung ebenso vermeiden wie Überforderung. Ziel muss es sein, die Kompetenz und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten so zu fördern, dass Motivation und Zufriedenheit hoch bleiben oder noch wachsen. Die schon erwähnte GPM-Studie „Vermessung der Projekttätigkeit“ prognostiziert einen Anstieg des Anteils der Projektarbeit an der Wertschöpfung bis 2019 auf mehr als 40 Prozent. Einer der wichtigsten Treiber für diese Entwicklung ist die digitale Transformation in den Unternehmen. Denn sie hat typischerweise Projektcharakter, und das ist auch richtig so. Gleich, ob man Start-ups kauft und integriert oder nur mit ihnen kooperiert, es sind Projekte, die den Kulturwandel treiben und zu neuen Geschäftsmodellen führen sollen.

Projekte können aber noch mehr. Weil sie ihrem Wesen nach kooperativ sind, sind sie auch eher team- als hierarchieorientiert. Und damit könnten sie ein Modell dafür bilden, wie die künftige Organisation leistungsfähiger Unternehmen aussieht. Immer mehr gerät ja die gleichförmige Routine, die Großserienfertigung oder überhaupt alle Skaleneffekte mit sich bringen, ins Hintertreffen. Stattdessen sind schnelle Anpassungen, kleine Stückzahlen und innovative Problemlösungen gefordert. Nicht von ungefähr ist deshalb Agilität heute in aller Munde. Was einmal in der Software-Entwicklung begann, hat inzwischen in den Managementdiskursen fast den Status eines Heilsbringers erlangt. Wie immer ist bei so viel Euphorie Skepsis geboten.

Begründet an der Begeisterung ist aber, dass agiles Management, richtig eingesetzt, von den Beschäftigten eine Menge Eigenschaften verlangt, die sie auch fit für den Wettbewerb 4.0 machen. Dazu gehören Selbstorganisation, Flexibilität, Lernbereitschaft, Team- und Konfliktfähigkeit. Führung erfolgt in solchen Zusammenhängen durch Persönlichkeit, nicht durch hierarchische Verankerung. Und Persönlichkeit ist nicht zuletzt definiert durch die Fähigkeit zu eigenständigen, fachlich wie ethisch fundierten Urteilen. Je mehr Projekte um sich greifen – allein die Bahn hat für ihre digitale Umgestaltung mehr als hundert aufgesetzt –, desto mehr werden solche Eigenschaften gefördert.

Fazit

Die enorme Projekterfahrung der deutschen Wirtschaft kann Mut machen, dass wir die digitale Transformation schaffen. Und zwar zum Wohle der Menschen. Denn Projektarbeit, wie gesagt, ist menschenzentriert. Gut möglich, dass künftig keiner mehr in der Linie Erfolg haben kann, der nicht vorher als Projektmanager erfolgreich war. Aber sosehr jedes einzelne Unternehmen seinen eigenen Wandel bewältigen muss, so klar muss uns sein, dass keines es allein schaffen kann. Ob wir uns jedem technischen und ökonomischen Imperativ unterwerfen müssen oder ob es gelingt, die Digitalisierung als ein freiheitliches, wohlstandsförderndes Projekt zu organisieren, das ist eine große gesellschaftliche Frage. Produzieren wir nicht weitere Papiere – machen wir ein Projekt daraus.

Kontakt: info@gpm-ipma.de, redaktion@pmstatusreport.de

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