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01.12.2016 - Fachartikel - Medien / Marketing

Wie Martin Schulz Karriere, Ämter und Absprachen miteinander verquickt

(Initiative Mittelstand)

Der SPD-Europa-Abgeordnete Martin Schulz ist bekanntlich mit seinem Vorhaben gescheitert, weiterhin EU-Parlamentspräsident zu bleiben. Am Ende der Plenarsitzung im November hatte er mit Blick auf das Auswärtige Amt seinen Rückzug aus dem EU-Parlament angekündigt. Dieser Wechsel scheint ohne größere Diskussion wie selbstverständlich über die politische Bühne zu gehen.

Als selbstverständlich galt auch eine andere Abmachung, die der ausscheidende EU-Parlamentarier allerdings nicht akzeptierte, nämlich der Wechsel im Amt des Präsidenten des Europa-Parlaments. Ein nicht weiter bekannter Vertrag zwischen den beiden großen Fraktionen der Christdemokraten (EVP, zu der CDU und CSU sowie die österreichische ÖVP gehören) und der Sozialdemokraten (SPD und SPÖ) sieht vor, zur Halbzeit der EU-Legislaturperiode einen Wechsel an der Spitze der 751 Mitglieder des EU-Parlaments vorzunehmen. Das ist im Januar der Fall. Es bleibt bemerkenswert, dass nicht einmal die Transparenz-Jünger der Grünen oder der 5-Sterne-Bewegung die Veröffentlichung dieser Absprachen einfordern. An diese Absprachen wollte sich Martin Schulz nun nicht mehr halten. Kein Trick blieb unversucht, um Abgeordnete zu beeinflussen: „House of Cards“ am Platz Luxemburg im Brüsseler Europa-Viertel. Doch Schulz schaffte es nicht, für sich persönlich Mehrheiten zu bilden.

Schulz war bereits in der vorherigen Legislaturperiode von 2012 bis 2014 Präsident des EU-Parlaments gewesen. Seine Nominierung war Bestandteil einer Absprache zwischen SPD und CDU/CSU: die SPD unterstützte den Christdemokraten Barroso als Chef der EU-Kommission, dafür wurde Schulz Parlamentspräsident. Schulz verstand es schnell, den parlamentarischen Verwaltungsapparat für seine Profilierung zu nutzen. CDU und CSU geisselten sein Verhalten immer wieder, forderten „Sachpolitik statt Wahlkampfparolen“ und klagten die übliche parteipolitische Neutralität des Parlamentspräsidenten ein. Mit der Ernennung zum „Spitzenkandidaten“ und somit Kandidat für den Chefposten der EU-Kommission gelang es Schulz 2013, den EU-Vertrag zu verbiegen, ohne dass ihm das Schaden zufügte. Denn der EU-Vertrag sieht einen „Spitzenkandidat“ aus gutem Grunde nicht vor. Am 1. März 2014 ließ die europäische CDU/CSU-Delegation in Brüssel verlauten: „Mit der offiziellen Nominierung von Martin Schulz als Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei wäre der Parlamentspräsident gut beraten, endlich sein Amt ruhen zu lassen. Herr Schulz hat in den vergangenen Monaten schon genug Wahlkampf für das Amt des Kommissionspräsidenten auf dem Rücken des Europäischen Parlaments gemacht. Zahlreiche andere Abgeordnete teilen diese Meinung und haben sich ebenfalls schon gegen den Amtsmissbrauch von Schulz ausgesprochen. Dieser lehnte seinen frühzeitigen Rücktritt dennoch vor kurzem offiziell ab. Für Herbert Reul ein unverständliches Verhalten: "Ich kann nicht verstehen, warum für Herrn Schulz immer Sonderregeln gelten sollen. Wenn Kommissare für das Parlament kandidieren, müssen sie ihr Amt auch niederlegen. Als Parlamentspräsident und Spitzenkandidat der Sozialisten für das Amt des Kommissionspräsidenten ist Herr Schulz in der gleichen Lage. Deswegen gelten für ihn die gleichen Maßstäbe."

Während des Wahlkampfs ließen die deutschen Christdemokraten nicht locker. Im Mai 2014 warfen sie ihm in Bezug auf die griechische Schuldenkrise kaum kaschierte Wählertäuschung vor: "Das heute in Berlin vorgestellte Programm des sozialistischen Spitzenkandidaten für die Europawahl, Martin Schulz (SPD), liegt nahe an der Wählertäuschung, denn es unterschlägt die von Schulz selbst mehrfach vorgetragene Forderung nach mehr gemeinsamen Schulden in Europa und einer Aufweichung der Maastrichter Defizitkriterien für den Euro. Unter einem europäischen Wahlkampf scheint Herr Schulz zu verstehen, in jedem Land Europas den Wählern ein anderes Programm zu präsentieren. Während er in Frankreich nach mehr Schulden und der Aufweichung der Maastrichter Kriterien für den Stabilitäts- und Wachstumspakt ruft, kehrt er diese Forderung in Berlin leise unter den Teppich." Die Christdemokraten waren wütend. Als Kandidat in der Wahlkampfzeit 2014 war Schulz nicht mehr mit der Führung des Europaparlaments betraut. Dennoch kassierte er ununterbrochen die Tageszulage von 300 Euro, auch wenn er aufgrund des Wahlkampfs gar nicht in Brüssel anwesend war. Am Abend der EU-Wahl stand fest: Schulz war nur zweiter und mithin nicht qualifiziert für das Amt des Kommissionspräsidenten. Knapp 20% der Wähler in allen Mitgliedsstaaten stimmten für Reform- oder Protestparteien. Dennoch versuchte Schulz, Mehrheiten für sich zu organisieren, Absprachen erneut zu brechen und sich auf den Chefsessel der EU-Kommission zu hieven. Das ging schief, Jean-Claude Juncker wurde Kommissionspräsident und Schulz... erneut Parlamentspräsident und zwar mit den Stimmen jener CDU- und CSU-Politiker, die zuvor seine Amtsführung so sehr kritisiert hatten. Deswegen forderte die AfD-Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch, auf die übliche geheime Abstimmung bei der Wahl des Parlamentspräsidenten zu verzichten und stattdessen namentlich abzustimmen: „Wir wollen zeigen, wer Herrn Schulz ins Amt hebt. Der Haushaltskontrollausschuss hat Herrn Schulz Amtsmissbrauch vorgeworfen, die Haushaltsentlastung wurde ihm von allen Fraktionen verweigert, er hat Passagen aus dem kritischen Bericht selbstmächtig gestrichen. Lassen Sie uns zeigen, wer Herrn Schulz ins Amt hebt. Ich bitte um namentliche Abstimmung“. Der Antrag wurde von der Mehrheit abgelehnt.

Ende 2016 ist die Zukunft von Martin Schulz in Brüssel als EU-Parlamentspräsident vorerst beendet. Selbst in seiner sozialdemokratischen Fraktion wurden zuletzt Unterschriften gesammelt, um ihn als Fraktionsvorsitzenden zu verhindern. Jean-Claude Juncker will seinen Chefposten in der EU-Kommission nicht räumen (wenn es sein Büroleiter Martin Selmayr überhaupt zuließe), und der Pole Donald Tusk arbeitet sich in seine Rolle als Chef des Europäischen Rats ein. Da tut sich jedoch ein anderer, komplizierter Frontverlauf auf: Die zwei verbliebenen Politiker der Brüsseler Troika gehören der Europäischen Volkspartei an. Die Sozialdemokraten hätten also keinen Spitzenposten im Brüsseler EU-Institutionengefüge mehr. Es kann also sein, dass der nächste EU-Parlamentspräsident wieder ein Sozialdemokrat sein wird. Aber das hängt von der politischen und der mathematischen Arithmetik der Straßburger Völkerversammlung ab. Die Zeit von Schulz in Brüssel ist jedenfalls abgelaufen und sind trotz der lauten Elogen nicht wenige, die sich klammheimlich darüber freuen. Die Frage ist, ob man sich im Auswärtigen Amt darauf freut, einen Mann an der Spitze zu haben, der mit (internationalen) Abmachungen so leichtfertig umgeht.

www.i-daf.org

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