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24.08.2016 - Fachartikel - Beruf / Bildung / Jobs

Pro und Contra anonymisierter Bewerbungsverfahren

Anonymisierte Bewerbungsverfahren haben sich nie wirklich durchgesetzt, kommen aber doch regelmässig immer wieder zur Sprache – sie haben sowohl Vor- wie auch Nachteile. Dieser Beitrag soll Ihnen helfen, sich eine objektive Meinung zu bilden.

(Initiative Mittelstand)

Eine 22jährige Frau? Viel zu jung und unerfahren. Ein Mann mit diesem Herkunftsland? Wird wohl weniger zu unserer Abteilung und Unternehmenskultur passen. Eine so attraktive Frau - sie wird bei uns sicher gut ankommen. Ein 55jähriger Ingenieur? Der wird dem Stress kaum gewachsen sein. Schau mal, sein Hobby sind auch Asienreisen, das wird wohl eine interessante Person sein. Diese und viele Vorurteile mehr gibt es, wenn Bewerbungen gesichtet werden. 

Beeinflussung des Urteilsvermögens

Oft beeinflussen sie das Urteilsvermögen von Rekrutierern negativ und verhindern Gespräche mit sehr aussichtsreichen Kandidatinnen und Kandidaten: Es bleiben so leider oft Kandidaten und Kandidatinnen auf der Strecke, die ausgezeichnete Qualifikationen vorweisen könnten oder hervorragend geeignet wären. Um solche die Objektivität von Selektionen negativ beeinflussende Filter zu vermeiden, gibt es die Verfahren anonymisierter Bewerbungen.

Das heisst: Wer sich anonym bewirbt, darf keine üblichen Bewerbungen mit Namen, Alter und Porträtfoto schicken, sondern wird in der Regel aufgefordert, Online-Formulare mit möglichst sachlichen und nicht persönlichen Daten auszufüllen. Oft wird sogar expliziert wie folgt darauf hingewiesen: "Vermeiden Sie Angaben, die Rückschlüsse auf Ihren Namen, Ihr Alter, Ihr Geschlecht, Ihren Familienstand oder Ihre Herkunft zulassen." Der Bewerber darf sich nur mit Zeugnissen, Abschlüssen, Berufserfahrung oder sonstigem Engagement präsentieren.

Diskriminierungen statistisch belegt

Diskriminierungen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder empirisch durch zahlreiche Feldversuche und Tests statistisch belegt. Ein auf "ovic" endender Name und ähnliche vor allem die Herkunft und Nationalität betreffende Angaben im Lebenslauf reduzieren nachgewiesenermassen für Bewerber die Chance, eine Einladung zum Interview zu erhalten, bis gegen 20 Prozent. In kleineren Unternehmen mit eher konservativen Branchen in ländlichen Regionen fiel der Wert sogar noch um einiges höher aus.

Eignung anonymisierter Bewerbungsverfahren

Anonymisierte Bewerbungsverfahren sind prinzipiell geeignet, verschiedene Formen der Diskriminierung und latente Vorurteile zu reduzieren. Bei derartigen Verfahren werden Merkmale wie etwa Name, Geschlecht, Alter, Nationalität und Herkunft aus den Bewerbungsunterlagen entfernt und können somit nicht in die Beurteilung der Kandidaten einfliessen. So ist es möglich, das Ausmass der Diskriminierung zumindest in der ersten Stufe des Selektionsprozesses zu reduzieren. Allerdings können persönliche Aspekte im positiven Fall ohne Vorurteile eine Vorselektion ganzheitlicher gestalten. Eine sehr positive Ausstrahlung erkennbares Kandidatenfoto oder Niveau und Art von Hobbys geben Hinweise auf Sozialkompetenzen, Charakter und Persönlichkeit.

Nachteile und Gefahren

Diese auf nüchterne Daten reduzierte Form der Sachlichkeit hat jedoch für Bewerber und Rekrutierer auch Nachteile. Man kann kaum noch persönliche Akzente setzen, Fotos fallen genau so weg wie das Begleitschreiben, keine Bewerbungsmappe lässt mehr Rückschlüsse darauf zu, wie individuell der Bewerber auf die Stelle eingeht und wie er die Liebe fürs Detail pflegt. Sogar Schriftart und Farbe sind beim Onlineformular vorgegeben. 

Die Gefahr: Die Bewerbung mutiert so zu einem kühlen und entpersönlichten Akt der gefilterten Datenprüfung. Doch klar ist, dass beim Interview vieles sicht- und erlebbar wird, was dann persönliche Aspekte wieder stärker ins Zentrum rückt. Und zwar mit dem Vorteil, dass diese bei der persönlichen Begegnung und im persönlichen Gespräch dann wesentlich authentischer und ganzheitlicher sind und Vorurteilsrisiken an Bedeutung verlieren oder ganz wegfallen.

Fazit

So gesehen können anonymisierte Bewerbungsverfahren insgesamt die wirtschaftliche Effizienz erhöhen und den Qualifizierungsgrad steigern - und last but not least helfen, Vorurteile in der Rekrutierung abzubauen und fragwürdige Wertvorstellungen zu hinterfragen.

Der Fokus liegt nun ausschliesslich auf den einzelnen Qualifikationen. Es besteht keine Gefahr mehr, sich von Fotos oder Namen ablenken zu lassen und - oft auch unbewusst – sachliche Beurteilungen durch Vorurteile zu trüben. Es bleibt zu bedenken: Wenn jemand vorsätzlich diskriminieren möchte, kann er das bei den Vorstellungsgesprächen immer noch tun bzw. sozusagen nachholen.

Nicht von der Hand zu weisen ist aber insgesamt der grosse Vorteil, dass Bewerber bei einem anonymisierten Verfahren ihre erste Hürde oft wesentlich leichter nehmen können und Rekrutierer durch Unkenntnis oft irrelevanter Kriterien so die grössere Chance haben, geeignetere Kandidaten zu Gesicht zu bekommen.

In der Praxis wird das Verfahren daher in den meisten Fällen weder ablehnend noch mit viel Begeisterung und Überzeugung angewandt, da auch der Aufwand in der Regel erheblich steigt. Eine allgemeine Empfehlung lässt sich nicht aussprechen, da die Kriterien, sich für oder gegen dieses Verfahren zu entscheiden, zu sehr und zu oft von der individuellen Situation der Personalauswahl abhängen, wie

  • Das Selektionsverfahren als Ganzes
  • bestehende Selektionskriterien
  • Gewichtung und Art der Kriterien
  • Person(en), welche die Vorselektionen treffen
  • Komplexität und Art der Anforderungen
  • Anforderungsprofil und damit verbundene "Vorurteilsrisiken"
  • Wirtschaftszweig, Arbeitsmarkt und Branche
  • Position und Funktion einer Stelle
  • Stellenwert von Alter, Erfahrung und Integrität u.m.
  • Zu erwartende Kandidaten und Personen
  • bestehende Mitarbeiterstruktur
  • Besonderheiten der Unternehmenskultur

Das Buch zum Thema

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Entscheidungshilfe zur Medienselektion
Entscheidungshilfe für die Wahl des Suchkanals
Kostensenkungspotenziale bei der Personalsuche
Qualitätsprüfung von Stellenanzeigen
Die wichtigsten Recruiting Trends
Budgetraster für Beschaffungskosten
Qualitätsbeurteilung einer Online-Stellenplattform
Die effizientesten Personalauswahlinstrumente
Checkliste Beurteilung von Persönlichkeitsmerkmalen
Das strukturierte Interview von AZ
Arbeitsblatt Mitarbeitereinführungsprogramm

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Norbert Maier
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