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27.03.2015 - Fachartikel - Beruf / Bildung / Jobs

Schätzen Sie Ihre Kunden ein!

Wie sie die Kundenentscheidung richtig vorhersehen können

Erfolg mit Geschäftskunden - Vertrieb - Verkauf - Sales B2B
(Initiative Mittelstand)

Falls Sie es gewohnt sind, einen regelmäßigen Umsatz-Forecast abzugeben, dann ist dieser Podcast für Sie möglicherweise voller verrückter Ideen. Aber gerade deshalb lohnt es sich, diese Ideen aus Ihrer eigenen Perspektive einmal zu durchdenken und in Ruhe zu prüfen, was sie Ihnen bringen können. Legen wir los!

Es gibt Vertriebsorganisationen, die in regelmäßigen Abständen eine Liste der anstehenden Kundenaufträge aktualisieren. Die einzelnen Verkaufs-Chancen werden feinsäuberlich zeilenweise aufgeführt. Jede Chance bekommt einen Auftragswert und - neben anderen Angaben - eine Wahrscheinlichkeit in Prozent. Wenn man dann die Prozentzahl mit dem Auftragswert multipliziert und alle um die Wahrscheinlichkeit bereinigten Auftragswerte summiert, kommt der erwartete Auftragseingang für den entsprechenden Zeitabschnitt heraus. So einfach. 

 

Warum Menschen schlechte intuitive Statistiker sind

Ich habe mich oft gefragt, wie die einzelnen Verkäufer zu dieser Prozentzahl kommen. Legen sie in meditativer Trance die Hände flach auf den Konferenztisch beim Kunden und warten auf die Eingebung? Könnte es sein, dass  sie in stummer Andacht die Augen schließen, damit die herbeigesehnte Prozentzahl vor dem inneren Auge erscheint? Oder werden gar Würfel bemüht, um die richtige Zahl zu ermitteln? 
Spaß beiseite. Sicher werden Sie denken, dass es sich um eine simple Einschätzung handelt. Man will die Intuition des Verkäufers nutzen, um möglichst sichere Annahmen zur Wahrscheinlichkeit zu bekommen. Allerdings ist das methodisch falsch. Warum? Lassen Sie mich ein einfaches Beispiel bemühen, um diese Behauptung zu begründen. 


Sicherlich wurden in den letzten Wochen in Ihrer Stadt oder Gemeinde einige Ehen geschlossen - Paare haben sich das Ja-Wort gegeben. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ehen einen Zeitraum von zehn Jahren überdauern? Nun, das schwankt sicherlich von Region zu Region. Aber nehmen wir der Einfachheit halber eine Wahrscheinlichkeit von 60% an. Also sechs von zehn Ehen werden aller Wahrscheinlichkeit nach den zehnten Hochzeitstag feiern. Der Rest trennt sich vorher. 


Stellen wir uns nun vor, dass wir die jungen Eheleute nach ihrer Einschätzung fragen - und zwar einzeln und getrennt voneinander. Die Frage lautet: „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie mit Ihrem heutigen Ehepartner zum zehnten Hochzeitstag noch verheiratet sein werden?“ Angenommen, wir befragen die Beteiligten kurz nach der Eheschließung - was wäre wohl die erwartete Antwort? Sicher haben Sie schon selbst oder am lebenden Beispiel die Euphorie frisch verheirateter Ehepaare erlebt. Deshalb ist es  vorstellbar, dass die Antwort bei allen Betroffenen lautet: „Bei uns sind es 100%“. Aber wenn das alle so einschätzen, ist klar, dass das insgesamt falsch ist, weil sicher nicht 100% aller Ehen die zehn Jahre schaffen werden. 

Führen wir das Gedankenexperiment weiter: Was würde sich ändern, wenn wir in regelmäßigen Abständen von etwa 6 Monaten die gleichen Beteiligten immer wieder einzeln und getrennt voneinander befragen würden? Wie würden sich die Antworten auf die oben genannte Frage ändern. Sicher würden nicht  mehr alle Befragten als Antwort „100%“ nennen. Aber welche Antworten sind zu erwarten? Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass sich nun Antworten mit geringen Prozentzahlen häufen. Aber ist das realistisch? 


Ist es wirklich vorstellbar, dass ein Befragter sagt: „In meinem Fall sind es etwa 60%“? Ich denke nicht. Die Antworten sind digital. Entweder voller Zuversicht trotz aller Alltagsprobleme „Wir schaffen das: 100%“ oder eher pessimistisch „Ich denke nicht, dass es noch lange hält. Wir sind kurz vor der Trennung.“ Es ist eine intuitive Einschätzung zur künftigen Entwicklung. Wir sind nicht in der Lage, eine korrekte statistische Aussage per Intuition zu machen. In der Summe wird sich die Prozentzahl wohl den erwarteten 60% annähern, aber die einzelnen Aussagen werden im Sinn von "ganz oder gar nicht" getätigt. 
Wenn wir die Menschen dazu zwingen würden, eine Prozentzahl zwischen 100 und 0 zu schätzen, dann würde das Ergebnis insgesamt schlechter, weil wir immer unsere eigenen Erwartungen in die Wahrscheinlichkeit „hineinrechnen“. Menschen sind außergewöhnlich schlechte intuitive Statistiker, wie ein berühmtes Experiment zeigt. 

 

Wie uns Ähnlichkeiten beeinflussen 

Der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann hat in seinem Buch „Schnelles Denken. Langsames Denken“ mehrere Experimente vorgestellt, die beweisen, dass unsere Fähigkeit, statistische Wahrscheinlichkeiten intuitiv zu bestimmen durch den Effekt der Ähnlichkeit überlagert wird. Wir hatten das bereits im Zusammenhang mit der Mustererkennung und dem autobiografischen Zuhören behandelt. Hier wirken Ähnlichkeiten und die damit zusammenhängenden Erfahrungen sind stärker als die logische Ermittlung der Wahrscheinlichkeit. Hier das Experiment in Kürze: 


Eine Gruppe von Testpersonen sollte einschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein zufällig unter allen Studenten einer Stadt ermittelter Student einer bestimmten Fakultät angehört. Das Ergebnis war so wie in vielen Universitätsstädten: Betriebswirtschaft liegt weit vor Informatik, weil viel mehr BWL-Studenten als Informatikstudenten vorhanden sind. So weit so gut. Nun wird es allerdings interessant, denn zu dem zufällig ermittelten Studenten liefert der Versuchsleiter noch eine Beschreibung. Diese Beschreibung enthält stereotypische Merkmale eines Informatikers, also z.B. „intelligent bei geringer Kreativität“ und  " Schreibstil eher fad“ sowie „Science-Fiction-Fan“. Testpersonen, die diese Beschreibung lasen und dann einschätzen sollten, welcher Fakultät der Student angehört, gaben nun fast immer an, dass es sich um einen Informatik-Studenten handelt. Das ist aber statistischer Unsinn, weil auch unter den Studenten mit eben jenen Eigenschaften die Zahl der BWL-Studenten höher ist als die der Informatiker. Die Testpersonen sind einem Einschätzungs-Fehler zum Opfer gefallen. Es ist schwierig, ad hoc eine Wahrscheinlichkeit zu berechnen. Das Erkennen der Ähnlichkeit mit bekannten Mustern ist viel einfacher. Daher tendieren wir in solchen Situationen zu statistischen Fehleinschätzungen, die bei genauerer Betrachtung und nüchternem Abstand wohl kaum passieren würden. 


Nach diesem Ausflug in die Wissenschaft können wir als bewiesen ansehen, dass wir schlecht in der Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten sind. Und das gilt erst recht, wenn wir selbst Betroffene sind. Wir tendieren dazu, eine Situation mit anderen Situationen zu vergleichen und dann ein „Das-ist-bestimmt-so-ähnlich-wie damals-Urteil“ zu fällen. Das hat dann allerdings nichts mit Wahrscheinlichkeiten, sondern mit der Euphorie oder dem Pessimismus des Einschätzenden zu tun. 
Was wäre also die richtige Vorgehensweise, wenn wir bessere Einschätzungen der Auftragslage erreichen wollen? Die Antwort liegt auf der Hand: Wir brauchen ein statistisches Verfahren, das auf Basis messbarer Fakten eine belastbare Zukunftseinschätzung liefert. Im Beispiel der Ehepaare und deren Trennungswahrscheinlichkeit gibt es einen Bericht einer Forschergruppe, der das sehr schön verdeutlicht. Die Forscher analysieren Paar-Gespräche anhand verschiedener Gesprächsmerkmale. Dabei werden sowohl bestimmte inhaltliche Analysen durchgeführt (Was wird besprochen, Wie intensiv werden Themen behandelt, …) als auch  zwischenmenschliche Aspekte (Freundlichkeit, kleine und große Attacken, Konfliktbehandlung, ..). Anhand von diesen Beobachtungen wird die Qualität der Beziehung messbar. Daraus lässt sich mit sehr guter Genauigkeit ableiten, wie lange die Paare wahrscheinlich noch zusammenbleiben werden. 

 

Vier Schritte zu validen Einschätzungen

In Bezug auf den Forecast gilt das Prinzip der Messung in Verbindung mit der empirischen Ermittlung der Wahrscheinlichkeit. Wenn wir diese Erkenntnis anwenden, dann sollten Sie in Erwägung ziehen, grundsätzlich so vorzugehen: 

1. Schaffen Sie sich ein sinnvolles System an Messwerten, die die Verkaufs-Chancen eindeutig in Phasen einteilen. Beispielsweise Phase 1: Erster Verdacht - Latenter Bedarf / Phase 2: konkreter Nutzen geklärt / Phase 3: Entscheider bekennt Handlungsabsicht / Phase 4: Konkrete Verhandlungen und annehmbare Angebot / Phase 5: Mündliche Auftragserteilung / Phase 6: Auftragsabschluss 


2. Legen Sie klare und eindeutige Kriterien fest, um die Projekte zweifelsfrei in die verschiedenen Phasen einzuordnen. Dabei ist es wichtig, dass es keine Grauzonen und keinen Interpretationsspielraum gibt. Im genannten Beispiel kann die Phase 2 also erst beginnen, wenn in einem Gespräch geklärt wurde, welchen Nutzen der Kunde konkret erwartet. Und Phase 3 beginnt erst, wenn der Entscheider identifiziert wurde und Ihnen gegenüber erklärt hat, dass er beabsichtigt, kurzfristig zu investieren. 


3. Ermitteln Sie, in welcher Phase wie viele Projekte endgültig verloren werden. Daraus lässt sich eindeutig bestimmen, mit welcher Wahrscheinlichkeit umgekehrt die Projekte, die in einer bestimmter Phase stehen, später erfolgreich sein werden. 


4. Lassen Sie Ihre Verkäufer künftig nicht mehr Prozentzahlen schätzen, sondern nachprüfbare Merkmale finden, die die Phase der Verkaufs-Chance zweifelsfrei festlegen. Wenn Sie dann - auch ohne die Verkäufer zu involvieren - die ermittelte Prozentzahl auf die Auftragswerte legen,  erhalten Sie eine gewichtete Auftragswahrscheinlichkeit. Ganz ohne individuelle Bewertungen und ohne den Einfluss von Euphorie oder Pessimismus erhalten Sie so wesentlich bessere Ergebnisse.

 

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www.stephanheinrich.com

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